Kodokan goshin jutsu
Selbstverteidigungstechniken

 Im Kodokan begann im Jahre 1952 eine Arbeitsgruppe von fünfundzwanzig hohen Dan-Trägern unter dem Vorsitz von Sumiyuki Kotani (10. Dan) neue zeitgemäße Selbstverteidigungsformen zu einer Kata zusammenzufassen. Dabei übernahmen sie auch altüberlieferte technische Jiu jitsu-, Judo-, Karate- und Aikido-Elemente.  

Im Januar 1956 stellte der Kodokan dann seine einundzwanzig Angriffe und Verteidigungen umfassende Goshin jutsu (Selbstverteidigungstechniken) der Öffentlichkeit vor. Diese Kata ist von dem gleichen Geist der Entscheidung (Kime) geprägt wie die alte Kime no Kata, die Jigoro Kano bereits 1888 in sein Judo-Erziehungssystem aufgenommen hatte.  

In der Goshin jutsu tragen Uke und Tori Angriff und Verteidigung in ununterbrochener Reihenfolge aus der Bewegung mit Schnelligkeit, Genauigkeit und Entschiedenheit (Kime) sowie deutlicher Kontrolle in der Ausführung und dem Abschluß (Zanshin) vor. 

Uke greift, sei es mit Hände oder Füßen, mit oder ohne Waffen, mit oder ohne Körperkontakt stets wirklichkeitsnah, dynamisch, ernsthaft und mit Kiai (Kampfschrei) an, ohne jedoch überhastet oder mit übertriebener Kraft zu handeln. 

Tori verteidigt mit Kiai ebenso glaubhaft, wie Uke angreift. Er verdeutlicht die grundlegenden Prinzipien des Neutralisierens der gegnerischen Kraft durch Nachgeben, Ausweichen und Umlenken sowie des Angriffs (Gegenangriffs) gegen die so geschwächte Stellung Ukes. Er handelt auf eine geschmeidige Art und Weise, ohne jemals auf die Angriffe mit Kraft gegen Kraft zu antworten (Prinzip des Yawara, d. h., Ju oder der Geschmeidigkeit) und bewahrt immer eine stabile Stellung (Prinzip des Shizen tai oder der natürlichen Stellung). Hierbei kommt dem Tai sabaki eine besondere, für die wirksame Verteidigung entscheidende Bedeutung zu. 

Die angestrebte natürliche, fließende Ausführung setzt von Seiten beider Partner ein hohes Maß an Vertrauen, Sicherheit in allen Techniken, große Erfahrung, höchste Konzentration, Umsicht im Handeln und geistige Reife voraus. 

Zwar bilden Stellung, Bewegung, Körper, Hände und Füße ein Ganzes, um sich im Gleichgewicht des Körpers und in der Synthese der Kraft auszudrücken. Aber das ist nicht das Wichtigste bei der Ausübung der Goshin jutsu. In der Selbstverteidigung entscheidet oft der ruhige Geist über den Sieg. 

Tori achtet daher bei all seinen Abwehrhandlungen, seien es nun Nage waza (Wurftechniken), Katame waza (Halten, Hebeln, Würgen) oder Atemi waza (Schläge, Tritte, Stöße) immer darauf, 

1.   eine stabile Stellung zu bewahren (Prinzip des Shizen tai oder der natürlichen Stellung) 

2.   auf eine geschmeidige Art und Weise auszuweichen oder zu verteidigen, (Prinzip des Yawara, d. h., Ju oder der Geschmeidigkeit) und 

3.   das gegnerische Gleichgewicht zu zerstören, zumindest die gegnerische Stellung zu schwächen (Prinzip des Kuzushi, Gleichgewicht zusammenbrechen lassen). 

Die Theorie der Beziehungen zwischen Körper und Geist lehrt, daß körperliche Ruhe unmittelbar zur geistigen führt und umgekehrt. Die alten Meister betrachteten deshalb Angst, Zweifel, Hast und Unruhe als die vier wesentlichen Krankheiten, die das innere Gleichgewicht störten. Sie strebten deshalb einen gelassenen Zustand des Geistes an, der durch nichts erschüttert werden konnte (muga mushin, Zanshin). 

Der Gesamteindruck dieser Kata wird daher ganz wesentlich von Toris steter ruhiger Wachsamkeit und Gelassenheit geprägt, in denen sich auch die geistige Einstellung widerspiegelt.