Nage no Kata
(Form des Werfens)

Die Nage no Kata ist die erste der beiden Randori no Kata des Kodokan. Professor Kano hat sie in Anlehnung an die Methodik der alten Ju Jutsu-Schulen in den Jahren 1884/85 geschaffen, um die ursprünglichen Prinzipien und die theoretischen Grundlagen der Würfe anhand eines repräsentativen Technikquerschnitts lehren zu können. Sie ist die einzige Kodokan-Kata, deren fünfzehn Wurftechniken jeweils beidseitig ausgeführt werden, und zwar abwechselnd und symmetrisch. 

Aus der Vielzahl der bereits zur Gründerzeit des Kodokan in den verschiedenen Ju jutsu Schulen gelehrten Wurftechniken hat Kano Jigoro jeweils drei Techniken stellvertretend aus den Gruppen der Hand-, Hüft-, Fuß- und Opferwürfe für die Nage no Kata ausgewählt:

1.Gruppe Te waza (Handtechniken) 

Uki otoshi

Seoi nage

Kata guruma 

2.Gruppe Koshi waza (Hüftechniken) 

Uki goshi

Harai goshi

Tsuri komi goshi 

3. Gruppe Ashi waza (Fußtechniken) 

Okuri ashi harai

Sasae tsuri komi ashi

Uchi mata 

4. Gruppe Ma sutemi waza (Opfertechniken durch die gerade Rückenlage) 

Tomoe nage

Ura nage

Sumi gaeshi 

5.Gruppe Yoko sutemi waza (Opfertechniken durch die seitliche Rückenlage) 

Yoko gake

Yoko guruma

Uki waza

Kano legte bei der Ausführung  dieser Kata besonderen Wert auf die deutlich erkennbare Darstellung von

  Kuzushi Brechen, Stören des gegnerischen Gleichgewichts,
  Tsukuri
 
Anpassen der eigenen Körperhaltung an das gebrochene oder gestörte gegnerische Gleichwicht zur Wurfvorbereitung und
  Kake Wurfausführung; Kime, d.h. Entscheidung.

Diese Wurfphasen waren zwar in den alten Jujutsu-Schulen  bereits bekannt, aber vor Kano nie klar in ihrer herausragenden Bedeutung für eine wirksame Vorbereitung und Ausführung der Wurftechniken herausgestellt worden. 

Nage no Kata lehrt nicht nur die technischen Prinzipien der einzelnen Würfe, sondern verbessert zugleich die Haltung (Shisei), das Gehen vorwärts, rückwärts, seitwärts und im Kreis (Shintai) sowie die Körperbeherrschung beim Eindrehen und Verteidigen (Tai sabaki). 

Nage no Kata beabsichtigt nicht, moderne Wurftechniken, wie sie sich im Laufe der Zeit vor allem im Wettkampfbereich entwickelt haben, wiederzugeben. Vielmehr überliefert sie Techniken, wie sie in der Entstehungszeit des Judo tatsächlich bei den kämpferischen Auseinandersetzungen der rivalisierenden Ju Jutsu-Schulen untereinander oder gegen den Kodokan erfolgreich eingesetzt wurden. Einige der Wurftechniken hat Prof. Kano verschiedenen Ju jutsu Schulen entlehnt, andere selbst entwickelt.  

Der traditionelle Ursprung wird u.a. in den unterschiedlichen katamäßigen Ausführungen des Seoi nage, Kata guruma, Tsuri komi goshi, Uchi mata, Tomoe nage, Ura nage (als Ma sutemi waza und nicht als Yoko sutemi waza) sowie der Demonstration von Sumi gaeshi, Yoko gake und Uki waza deutlich. 

Tori und Uke führen die Kata ruhig und ohne unnötige Pausen, aber flüssig und ohne Hast sowie ohne übermäßigen Krafteinsatz (insbesondere bei Kake) in einem Geist gegenseitigen Vertrauens aus. 

Die gesamte Nage no Kata ist als eine fortlaufende Entwicklung zu verstehen, bei der Uke seine Angriffe ständig verändert. Das zwingt Tori wiederum, fortwährend neue Verteidigungen anzuwenden. 

Tori und Uke sind in diesem stilisierten Zweikampf als technisch gleichwertige Partner zu betrachten. Uke greift stets ernsthaft und kraftvoll an. Tori begegnet diesen Angriffen genauso entschlossen, tatkräftig und wirkungsvoll. Dabei vermeiden beide alle unnötigen Bewegungen. 

Ukes Angriff folgt Toris Nachgeben sowie das Aufnehmen, Weiterführen und Umlenken der Angriffsbewegung (Brechen der Angriffsinitiative). Tori leistet keinen unmittelbaren Widerstand. 

Uke darf die Zusammenarbeit mit Tori nicht vorwegnehmen und sich selbst zum bloßen Springer herabstufen.  

Beide achten bei ihrer Vorführung sorgfältig auf paarweises Greifen, gleichzeitige Bewegung in die Technik bzw. gleichzeitiges Zusammentreffen bei den Schlagangriffen und erreichen dadurch, durch technische Perfektion und einen kontrollierten Abschluss (Zanshin) eine ausgeglichene, harmonische Darstellung. 

Ukes Angriffsschritte folgen in der Regel einem metronomischen Drei-Schritt-Rhythmus. Ausgenommen sind die Schlagtechniken. Soweit Uke angreift, treibt er die Kata voran, d.h. er bestimmt die Ausführungsgeschwindigkeit. 

Der Wert der Nage no Kata hängt nicht von der Auslegung einer Einzelheit ab, sondern von den Fähigkeiten der Ausführenden. Tori und Uke müssen deshalb nicht nur über einen angemessenen hohen technischen Stand verfügen, sondern auch die erforderliche Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, die ihre geistige Einstellung widerspiegeln.